Eine gerettete Ziege auf einem Lebenshof. (USA) – Credit: [Jo-Anne McArthur] / We Animals Media

Nutztiere: Muss ein “Nutztier” Nutzen bringen?

Tiere als „Nutztiere“ zu kategorisieren, hat fatale Folgen für sie. Erfahren Sie hier, was es damit auf sich hat. Und warum es ein wichtiger Schritt für den Tierschutz in Deutschland ist, sogenannte Nutztiere politisch zu vertreten.

Wichtige Themen zu Tiere in der Landwirtschaft

Die Art und Weise, wie Menschen Tiere nach ihrem Nutzen einordnen, hat tiefgreifende Auswirkungen auf ihr Leben. Während manche Tiere als Begleiter geschätzt werden, werden andere zu Produktionsmitteln degradiert. In der landwirtschaftlichen Tierhaltung bedeutet das, dass ihr individueller Wert hinter wirtschaftlichen Interessen verschwindet – sie werden zu Waren, deren Bedürfnisse und Empfindungen kaum Beachtung finden. Hier erfahren Sie mehr über verschiedene Formen der Tierausbeutung in der Landwirtschaft.

Was sind “Nutztiere”?

Zwei weiße Kaninchen in einem Käfig in einer Massentierhaltung. (Italien)

Die Definition “Nutztiere” orientiert sich nicht an biologischen Beschreibungen. Die Einteilung beruht vielmehr auf dem Zweck, den die Tiere für Menschen erfüllen sollen: Die Herstellung von Lebensmitteln und tierlichen Rohstoffen.

Gibt es einen Unterschied zwischen “Nutztier” und “Heimtier”? Nein. Einzig der Nutzungswunsch, ein menschengemachtes Kriterium, trennt “Nutztiere” von anderen Tieren. Abseits davon lassen sich keine Grenzen ziehen.

Menschen kategorisieren Tiere danach, in welcher Beziehung sie zu Menschen stehen und welchen Nutzen sie für sie erbringen. Ein Kaninchen im Labor gilt als Versuchstier, ein Hauskaninchen als Heimtier und ein Mastkaninchen als Nutztier in der Landwirtschaft.

Das hat weitreichende Folgen: Tiere in der Landwirtschaft bekommen den Status von Produkten und Waren zugesprochen. Sie gelten als Objekte und Ressourcen statt als Lebewesen mit individuellen Interessen, Wünschen und Gefühlen.

Übersicht über “Nutztiere” in Deutschland

Ein gerettetes Kalb auf der Kuhweide eines Lebenshofs. (USA) – Credit: [Jo-Anne McArthur] / We Animals Media

Landwirt*innen halten verschiedene Tierarten in Ställen und Masthallen für die Produktion von Nahrungsmitteln. Bei Fischen handelt es sich um Wildtiere und nicht um domestizierte Tiere.

  • Schweine
  • Rinder
  • Hühner
  • Puten
  • Enten
  • Gänse
  • Wachteln
  • Kaninchen
  • Schafe
  • Ziegen
  • Fische

Wie viele “Nutztiere” werden jährlich geschlachtet?

Die Tierindustrie tötet hierzulande über 760 Millionen Tiere. Masthühner machen rund 82% aller geschlachteten Individuen aus. Der Transport zum Schlachthof und der Schlachtablauf sind mit Stress, Leiden und Schmerzen verbunden.

 

Kategorie Deutschland
Masthühner 623.165.170
Schweine 53.317.232
Puten 34.900.339
Legehennen 33.101.202
Enten 12.071.743
Rinder 3.262.775
Schafe 1.197.262
Gänse und andere Vögel 611.247
Ziegen 22.543
Summe 22.543

Schlachtzahlen nach Tierarten, Deutschland 2020 (Gewerbliche Schlachtungen)

Lebenserwartung von “Nutztieren”

Ihre Lebenstage sind im Voraus gezählt, Wachstumskurven und Legeperioden geben das Schlachtalter vor. Andere Gründe sogenannte Nutztiere vorzeitig zu töten, sind eine nachlassende Leistung oder Krankheiten, deren Behandlung sich für den Betrieb nicht lohnt.

Industrielle Tierhaltung Natürliche Lebenserwartung
Milchkuh 3,75 – 7,5 Jahre1 20 Jahre2
Mastkalb 5 – 8 Monate3
Zuchtschwein 1,3 – 4,0 Jahre4 10 Jahre5
Mastschwein 6,5 – 7,5 Monate6
Legehenne 12 – 16 Monate7 5 – 10 Jahre8
Masthuhn 28 – 42 Tage
Mastpute 4,5 – 6 Monate 15 Jahre9
Zuchtkaninchen 1 – 3 Jahre10 8 – 12 Jahre11
Mastkaninchen 11 – 13 Wochen12 8 – 12 Jahre11
Mastente 36 –  84 Tage13 5 – 10 Jahre14
Legegans 4 – 5 Jahre15
Zuchtganter 6 – 8 Jahre17 15 Jahre16
Mastgans 8 – 32 Wochen18
Legewachtel 35 Wochen19 4 – 5 Jahre20
Mastwachtel 42 Tage21
Mastlämmer 3,5 – 7 Monate22 15 Jahre23
Milchziege 2,5 – 7,3 Jahre24 16 – 18 Jahre25

Lebenserwartung sogenannter Nutztiere

Wie lebt ein sogenanntes Nutztier?

Eine Sau blickt nach oben aus den beengten Verhältnissen eines Kastenstandes in einer Massentierhaltung. (Polen) – Credit: [Andrew Skowron] / We Animals Media

“Nutztiere” leben in kargen Ställen. Die wenigsten erhalten einen Zugang ins Freie. Mastschweine hausen in engen Buchten auf Spaltenböden. Masthühner verbringen ihr Leben in Hallen mit tausenden Tieren. Kaninchen hocken in kleinen Käfigen.

Dahinter steckt die Absicht, die Kosten niedrig zu halten. Denn die Betriebe wirtschaften effizient und billig, um im Wettbewerb zu bestehen. Tierschutz ist nicht mehr als eine Nebensache. Folgende Faktoren gehören zur profitorientierten Nutztierhaltung:

  • hohe Besatzdichten: viele Tiere leben auf wenig Raum
  • Mechanisierung und Automatisierung: reduziert den Betreuungsaufwand
  • Verstümmelung: passt die Tiere an die Haltungssysteme an
  • einseitige Zucht: steigert die Leistung
    Verabreichung von Medikamenten: ermöglicht die intensive Tierhaltung

Die Folgen für “Nutztiere”

Landwirt*innen züchten, halten und töten “Nutztiere”, um Gewinne zu erwirtschaften. Sie kontrollieren die Körper, Fütterung, Vermehrung und Haltungsumwelt der Tiere. Vom Menschen geplante Produktionsabläufe trennen Freundschaften und Familien.

Die Tiere dürfen sich nicht frei bewegen. Anbindehaltung, Käfige und Kastenstände beschränken die Tiere auf die kleinstmöglichste Fläche. Stallwände, Gitter und Zäune pferchen sie zu Tausenden zusammen. Statt Sonnenlicht leuchten künstliche Lampen.

Einige Legehennen strecken ihre Köpfe aus den Käfigbatterien auf einer Legehennenfarm. (Australien) – Credit: [Seb Alex] / We Animals Media

Die Massentierhaltung schränkt ihre Grundbedürfnisse, allen voran ihre Verhaltensweisen, ein oder verhindert sie. Für die Tiere sind diese Verhaltensbereiche besonders wichtig:

  • Fortbewegung
  • Nahrungssuche
  • Komfortverhalten und Körperpflege
  • Erkundungsverhalten
  • Ruheverhalten
  • Sozialverhalten, wie das Mutter-Kind-Verhalten.
Eine Sau und ihre Ferkel in einem Kastenstand. (Italien) – Credit: [Stefano Belacchi / Essere Animali] / We Animals Media

Die Intensivtierhaltung verwehrt den “Nutztieren”, sich zu entfalten. Sie können nicht gedeihen oder ihren Wünschen nachgehen. Ihre Interessen zu beachten, bringt keinen wirtschaftlichen Nutzen, sondern verursacht hohe Kosten.

In der Nutztierhaltung erleiden sie negative Folgen, die sich gegenseitig beeinflussen. Betroffen sind nicht nur ihre Körper und ihr Verhalten, sondern auch ihr Innenleben, also ihre Gefühle und kognitiven Fähigkeiten.

Zu den Auswirkungen gehören:

  • Krankheiten
  • Qualzucht
  • gestörtes Verhalten
  • negative Emotionen
  • gestörtes oder verhindertes Sozialverhalten
  • frühzeitiger Tod

Die “Produkte” von sogenannten Nutztieren

“Nutztiere” in Nahrungsmittel zu verwandeln, umfasst mehrere Produktionsschritte: Sie werden gezüchtet, gehalten, transportiert und geschlachtet. Ihre Körper werden in Stücke zerlegt. Eier rollen aus künstlichen Nestern. Maschinen melken Milch aus den Eutern.

Abgepackt in Plastikschalen, Schachteln und Kartons bleibt die Herkunft dieser “Produkte” verborgen. Symbolhafte Tiere auf den Verpackungen verschleiern den Ursprung: qualvolle Massentierhaltung.

Die Tierindustrie wirkt sich auf alle Lebensbereiche der “Nutztiere” aus. Sie verhindert oder zerstört in erster Linie ihre sozialen Grundbedürfnisse. Ihnen bleibt verwehrt, in Familien und Gruppen zu leben oder Freundschaften zu pflegen

Fleisch

Ein verletzter Truthahn in der Massentierhaltung. (Schweden) – Credit: [Jo-Anne McArthur / Djurrattsalliansen] / We Animals Media

In der Natur bleiben Hühner- und Entenküken in den ersten Lebenstagen eng bei ihrer Mutter. Sie bietet ihnen Schutz und Wärme. Masthühner und Mastenten schlüpfen dagegen in künstlichen Brutautomaten und leben in Gruppen mit tausenden Jungtieren.

Wildputen formen komplexe soziale Strukturen. Je nach Jahreszeit bilden sie unterschiedliche Zusammenschlüsse. Anders als die Wildtiere leben Mastputen dagegen mit gleichaltrigen Tieren in beengten Bedingungen und verletzen sich gegenseitig.

Schweine und Rinder sind gesellige Tiere. Bei ihnen bleibt die Verbindung zwischen Muttertier und Nachwuchs bis in ihr Erwachsenenalter bestehen. Mastschweine werden schon nach drei Wochen von ihrer Mutter getrennt, Kälber bereits am ersten Lebenstag.

Milch

Die Milchindustrie verhindert freundschaftliche und familiäre Beziehungen. Die ökonomischen Interessen der Bauern und Bäuerinnen wiegen schwerer als die Bedürfnisse der Rinder.

Unter naturnahen Bedingungen leben Rinder in einer Gruppe aus unterschiedlich alten Tieren und mit einer Leitkuh. Da sich die Tiere seit Langem kennen, kommt es selten zu Konflikten. Vielmehr gehen Rinder Freundschaften miteinander ein.

Kühe und ein Kalb in einer Fütterungsstation an der bulgarisch-türkischen Grenze. (Türkei) – Credit: [Jo-Anne McArthur / Eyes On Animals] / We Animals Media

Obwohl die Mutter-Kind-Bindung von Natur aus besonders stark ist, trennen die Landwirt*innen Kalb und Mutterkuh nach der Geburt voneinander, um Milch zu gewinnen. Würden sie zusammen leben, würde das Kalb ein halbes Jahr lang bei seiner Mutter trinken.

Eier

Unter natürlichen Bedingungen leben Hühner in einer Gruppe aus einem Hahn, mehreren Hennen und ihren Nachkommen. Eine Rangordnung bestimmt ihr Miteinander. Sie minimiert, dass die Tiere kämpfen und sich verletzen.

Füße von Legehennen in einer Legebatterie mit Eiern im Vordergrund. (Itlaien) – Credit: [Stefano Belacchi / Essere Animali] / We Animals Media

Legehennen bilden kaum eine Rangordnung aus. Im Käfig steht ihnen nicht genügend Raum zur Verfügung, um den notwendigen Mindestabstand einzuhalten. In der Boden– oder Freilandhaltung ist die Gruppe unübersichtlich groß.

Eine industrielle Wachtelei-Farm. (Taiwan) – Credit: [Jo-Anne McArthur] / We Animals Media

Wachteln leben in der Natur in ständig wechselnden sozialen Gruppen. Legewachteln sitzen in kleinen Käfigen mit hoher Besatzdichte. Verhaltensprobleme wie Aggressionen und Federpicken, die zu schmerzhaften Verletzungen führen, sind die Folge.

Bedeutet Bio mehr Tierschutz?

Nahaufnahme einer Henne in einer Bio-Farm in Italien. Wie bei den meisten Hennen wurde ihr Oberschnabel mit einer erhitzten Klinge oder einem Laser kurz nach der Geburt entfernt. Dieser Prozess des sog. “Schnabelkürzens” soll Verletzungen und Kannibalismus vorbeugen. (Italien) - Credit: [Stefano Belacchi / Essere Animali] We Animals Media

Im Vergleich zur konventionellen Nutztierhaltung sind ökologische Haltungsvorgaben zwar punktuell strenger, allerdings beschönigt die Bio-Branche die Lebensrealität der Tiere. Dass sogenannte Nutztiere in Bio-Betrieben ein “artgerechtes Leben” führen, ist irreführend.

Sie erhalten etwas mehr Platz in den Ställen. Und die Bio-Vorgaben schreiben Auslauf- und Weideflächen vor, lassen jedoch Einschränkungen durch Witterung, Bodenzustand und Jahreszeiten zu.

Die Bio-Haltung erlaubt es auch, “Nutztiere” zu verstümmeln. Schwanzkupieren, Schnabelkürzen und Enthornen sind unter bestimmten Bedingungen möglich. Allerdings müssen die Tiere betäubt werden oder Schmerzmittel erhalten.

Die problembehaftete Anbindehaltung von Rindern ist noch in Kleinbetrieben möglich. Landwirt*innen binden die Tiere am Hals an. Die Anbindung fixiert sie an ein und derselben Stelle. Ihnen bleibt nur Platz für wenige Trippelschritte vor und zurück.

Tiere leisten Widerstand!

Die Nutztierhaltung sieht vor, dass die Tiere keine lebenswichtigen Entscheidungen treffen. Das System schränkt ihre Handlungsmacht, im Englischen “Agency” genannt, enorm ein.

Piia Anttonen verbringt mit der geretteten Kuh Nunnu Zeit im Wald. (Finnland) – Credit: [Jo-Anne McArthur / #unboundproject] / We Animals Media

Dennoch widersetzen sie sich immer wieder der ausbeuterischen Tierhaltung. Bislang gibt es keine systematische Untersuchung, wie die Tiere innerhalb der Agrarindustrie protestieren. Über die Jahre häufen sich jedoch Berichte über entkommene Tiere.

Besonders wenn sogenannte Nutztiere aus Schlachthöfen ausbrechen, gelangen sie als Akteur*innen in die Medien. Diese widerständigen Tiere bekommen eine Biografie zugeschrieben. Sie heben sich aus der gleich wirkenden Masse an Schlachttieren ab.

Im Vergleich zur anonymen Masse von “Nutztieren” gelten sie als aktive Subjekte. Dabei ist jedes Tier ein handelndes Subjekt. Dennoch spielen die entkommenen Tiere eine bedeutende Rolle: Ihr Handeln stellt das mit Routine ratternde Schlachten infrage.

Forderungen von Animal Society

Tiere sind keine passiven Objekte. Sie haben Interessen und Bedürfnisse. Sie haben Wünsche und wollen auf ihre Umgebung einwirken. Sie wollen in Familien leben und Freundschaften pflegen. Sie widersetzen sich. Sie handeln.

Trotzdem bleiben “Nutztiere” bei politischen Aushandlungen außen vor. Die Politik bestimmt Gesetze und Verordnungen, die das Leben von “Nutztieren” tiefgreifend beeinflussen, ohne ihre Interessen und Bedürfnisse zu beachten.

Die Bevölkerung hält es für dringend notwendig, Tiere stärker zu beachten. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage, die das Sinus-Institut im Auftrag von Animal Society durchführte.

Obwohl es seit Jahrzehnten ein starkes Engagement für Tiere gibt, ignoriert die Bundesregierung den gesellschaftlichen Wunsch nach mehr Tierschutz. Unterstütze unsere aktuelle Kampagne, um Tieren eine legitimierte Stimme in der Politik zu geben!

Animal Society sieht Tiere als Teil unserer Gesellschaft. Wir setzen uns für eine staatliche Repräsentation von Tieren ein und verleihen den Interessen von Tieren Gehör in Politik, Recht und Gesellschaft.

Quellen

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